Neue (alte) Bezeichnungen für Regierungsbeauftragte und Komitate
Seit dem 1. Januar 2011 werden die Regierungsämter in der Hauptstadt und den Komitaten in Ungarn von Regierungsbeauftragten (kormánybiztos) geleitet, die vom Ministerpräsidenten ernannt werden. Ein Gesetzesvorschlag des Finanzministers Mihály Varga von Mitte Juni sieht nun die Wiedereinführung der historischen Bezeichnung „Obergespan“ (főispán) statt der gegenwärtig gebrauchten Form „Regierungsbeauftragter“ vor. Damit solle die heutige Administration enger mit der Begriffswelt der ungarischen Staatsverwaltung vor dem Kommunismus verknüpft und die verfassungsrechtlichen Traditionen der tausendjährigen ungarischen Staatlichkeit erhalten werden. Auch in den europäischen Ländern gebe es viele Beispiele für die moderne Verwendung von Begriffen, die auf frühere Zeiten zurückgehen, so Varga. Als Beispiel nannte er die angelsächsischen Länder, wo vielerorts der Begriff „Alderman“, also Ratsherr, noch heute für die gewählten Leiter der Kommunalverwaltungen 2 verwendet wird. Das Amt des Obergespan bestand jahrhundertelang bis zu seiner Abschaffung im Jahre 1950.
Parallel dazu brachte Fidesz-Fraktionsvorsitzender Máté Kocsis eine Initiative zur Änderung des Artikels 11 des Grundgesetzes ein, die die Umbenennung der Komitate (megye) in die früher so bezeichneten „Burgkomitate“ (vármegye) zum Ziel hätte. Die Verwendung des Wortes „vármegye“ wurde durch das kommunistische Regime abgeschafft, das mit dem früheren ungarischen Verfassungs- und Staatsverwaltungssystem vollständig brechen wollte. Für den Vorschlag ist die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Parlaments erforderlich. Kritik an dem Vorhaben kam unter anderem vonseiten des Budapester Oberbürgermeisters Gergely Karácsony, welcher die Vorschläge wie folgt kommentierte: „Erst ein Obergespan, dann ein Burgkomitat, und wenn die Regierung in diesem Tempo in der Zeit zurückgeht, wird daraus noch ein Königreich.“ Tibor Navracsics, Minister ohne Geschäftsbereich für Regionalentwicklung und die Verwendung von EU-Mitteln, erklärte nach Rückfragen jedoch, dass sich die Zuständigkeiten und Aufgaben durch die Umbenennung nicht ändern würden und es sich lediglich um einen symbolischen Akt handele. Mehr über die Geschichte und Gegenwart der ungarischen Verwaltungsgliederung erfahren Sie in unserem Faktenwissendossier:
Das System der Komitate in der Kommunalverfassung von Ungarn.
Vorschlag zur Reform der Europäischen Union
In einem jüngst vorgelegten Entschließungsantrag der Fidesz-KDNP gaben führende Politiker beider Parteien Vorschläge zur künftigen Neuordnung der Europäischen Union aus ungarischer Sicht. Diese könnten auch auf eine Erklärung in Straßburg von Dubravka Suica, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, gefolgt sein, in welcher die Bereitschaft signalisiert wurde, die Gründungsverträge der EU zu ändern.
Der Fidesz-KDNP-Vorschlag der Parlamentarier an die ungarische Regierung sieht vor, das Europäische Parlament in seiner jetzigen Form abzuschaffen. Diesen unterzeichneten Parlamentspräsident László Kövér, der stellvertretende Ministerpräsident der KDNP, Zsolt Semjén, der Fraktionsvorsitzende der KDNP, István Simicskó, und der Fraktionsvorsitzende von Fidesz, Máté Kocsis. Anstelle des jetzigen EU-Parlaments schlagen sie vor, die nationalen Parlamente innerhalb der EU zu stärken, indem die EU-Abgeordneten künftig nicht mehr direkt, sondern aus den Reihen der Nationalparlamente gewählt werden sollen. Darüber hinaus würden die Abgeordneten allen nationalen Parlamenten ein Vetorecht gegen EU-Gesetze einräumen und ihnen und den nationalen Regierungen das Recht garantieren, neue EU-Gesetze initiieren zu können. Zu ihren weiteren Vorschlägen zählen etwa die vertragliche Festhaltung der christlichen Grundlagen der EU, die Streichung der Klausel über die „ever closer union“, die Aufstellung einer gemeinsamen europäischen Armee sowie die schnelle EU-Integration der Balkanländer. Die FIDESZ-KDNP-Parlamentarier forderten überdies, dass die Brüsseler Institutionen über kein Mitspracherecht bei Fragen der Einwanderungspolitik verfügen sollten.
Ungarn unterstützt Kandidatenstatus der Ukraine und Moldawien
Ungarn unterstützt die einvernehmliche EU-Position, der Ukraine sowie Moldawien einen Kandidatenstatus für den EU-Beitritt zu verleihen. Diese Position wurde im Juni offiziell verkündet, nachdem sich Ministerpräsident Orbán im Vorfeld in gemeinsamen Telefongesprächen mit seinen ukrainischen und moldawischen Kollegen ausgetauscht hatte.
Orbán sagte im Gespräch mit Selensky, dass Ungarn bereits fast 800.000 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen habe und bereit sei, weiter im Energiebereich zusammenzuarbeiten, ukrainisches Getreide mit der Bahn zu transportieren und mehr ukrainische Studenten aufzunehmen. Während des Gesprächs betonte Orbán, dass Ungarn die Bewerbung der Ukraine um den EU-Kandidatenstatus unterstützen werde und dass bürokratische Hindernisse für den tatsächlichen Beitritt der Ukraine zur EU so schnell wie möglich beseitigt werden sollten. Der ungarische Premierminister teilte dem ukrainischen Staatschef mit, dass er diese Position auf dem EUGipfel diese Woche in Brüssel verteidigen werde. Selenski bedankte sich hierfür ausdrücklich im Namen des ukrainischen Volkes.
Ungarn hilft Ukraine mit 3,5 Milliarden Forint
Laut einem am 1. Juli im ungarischen Staatsanzeiger veröffentlichten Regierungsbeschluss wird Ungarn der kriegsgebeutelten Ukraine insgesamt 3,5 Milliarden Forint (mehr als 8,47 Millionen Euro) an Hilfe zukommen lassen. In der Begründung heißt es, dass die Regierung „damit einverstanden ist, dass Ungarn der Ukraine im Geiste der Solidarität zusätzliche Unterstützung gewährt“.
Frühjahrs-Eurobarometer-Umfrage
Die EU veröffentlichte im Juni ihre jüngste Eurobarometer-Umfrage zur Zukunft der Union in Krisenzeiten. Viele EU-Bürger zeigen sich zunehmend besorgt, aber nicht ohne Zuversicht. Die Umfrage, die im April und Mai 2022 in den 27 EU-Mitgliedstaaten mittels 26.580 Interviews durchgeführt wurde, konzentrierte sich auf drei Aspekte, nämlich den Krieg in der Ukraine und seine wirtschaftlichen Auswirkungen auf die EU-Bürger, deren Einstellung zur EU sowie zu politischen Prioritäten und Werten sowie die Bereitschaft der Wähler, an den Wahlen zum Europäischen Parlament 2024 teilzunehmen. Insgesamt zeigt die Eurobarometer-Umfrage, dass die EU-Bürger mit den Maßnahmen einverstanden sind, die die EU seit Beginn des Krieges in der Ukraine ergriffen hat, und dass die Krise die Unterstützung für die Europäische Union gestärkt hat. Gleichzeitig geben Inflation, hohe Preise und Veränderungen, die sich negativ auf den Lebensstandard der Menschen auswirken, Anlass zur Besorgnis und Verunsicherung, ein Trend, der seit der Corona-Krise anhält.
Verlängerung der Preissenkungen und Wirtschaftslage in Ungarn
Am 16. Juni kündigte Ministerpräsident Viktor Orbán auf seinen sozialen Netzwerken die Entscheidung der ungarischen Regierung an, die derzeitig aufgrund des Ukraine-Krieges geltenden Preisstopps für lebenswichtige Grundgüter des täglichen Bedarfs über die bisherige Frist hinaus zu verlängern. Diese wäre zum 1. Juli 2022 ausgelaufen. Die Verlängerung der Maßnahmen bedeutet im Einzelnen das Einfrieren der Lebensmittelpreise und die Verlängerung des Kraftstoffpreisstopps bis zum 1. Oktober 2022 wie auch ein Kreditmoratorium und das Einfrieren der Zinssätze bis zum 31. Dezember 2022.
Unterdessen kletterte die ungarische Inflation in zweistellige Höhen und näherte sich nach den letzten offiziellen Zahlen bereits der 11-Prozent-Marke an. Gegen Ende des Monats fiel der Forint dem Euro gegenüber auf ein historisches Tief. So kletterte er im Laufe des Monats mehrmals über die „magische“ 400er-Marke, um schließlich Anfang Juli den bisherigen Höchstwert von 413,19 Forint für einen Euro zu erreichen. Im Zeichen der Inflationsbekämpfung hob die Ungarische Nationalbank Ende Juni die Leitzinsen dann um 185 Basispunkte auf 7,75 % an, was die Erwartungen des Marktes weit übertraf. Zugleich erhöhte die Notenbank ihre Prognose der Inflationsraten für 2022 auf 11-12,6 %. Im März lag diese noch bei 7,5-9,8%. Grund hierfür seien unter anderem die fortwährend steigernden Energie- und Rohstoffpriese wie auch die globale Inflationssteigerung. Der Höhepunkt der Preissteigerungen werde für den Herbst erwartet. Nichtsdestotrotz erwartet die Nationalbank ein Wirtschaftswachstum von 4,5-5,5 % für das laufende Jahr, was vor allem dem Inlandskonsum zu verdanken sei.
Neue Kfz-Kennzeichen
Ab dem 1. Juli werden die neuen ungarischen Kennzeichen eingeführt, die eine andere Buchstaben- und Zahlenkombination aufweisen als die bisherigen. Die Neugestaltung dieser war notwendig, weil die bisherigen aus drei Nummern und drei Buchstaben bestehenden Kennzeichen in einigen Jahren nicht mehr ausgegeben werden hätten können. Die alten Nummernschilder müssen aber nicht durch die neuen ersetzt werden, da die neuen Schilder zunächst nur für in Ungarn neu zugelassene Fahrzeuge ausgegeben werden. Auf den Schildern wird auch das Wappen Ungarns abgebildet sein.
Hitzewelle in Ungarn
Ende Juni wurden in Ungarn an mehreren Orten Temperaturen von fast 40 °C gemessen, während vom 27. Juni bis zum 4. Juli landesweit die Hitzewarnung höchster Stufe galt. Den Temperaturrekord für den 1. Juli, der 1950 mit 41,3 °C in Csongrád erreicht wurde, überbot die diesjährige Hitzewelle indes nicht. Dafür war der Juni 2022 der drittheißeste Juni seit dem Jahre 1901, wie der Nationale Wetterdienst mitteilte. Die höchste je in Ungarn gemessene Temperatur wurde am 20. Juli 2007 im südungarischen Kiskunhalas gemessen, als das Thermometer auf 41,9 °C kletterte.
Zur Quelle:
Das Deutsch-Ungarische Institut für Europäische Zusammenarbeit soll ein Forum für den akademischen, wissenschaftlichen und politischen Dialog zwischen Deutschland und Ungarn bieten und Entscheidungsträger wie auch interessiertes Fachpublikum beider Länder mit Themen, Debatten, Prozessen, Denkmustern und Ideen des jeweils anderen Landes bekanntmachen. Ziel ist es, durch Versachlichung des deutsch-ungarischen Diskurses mehr Verständnis, Verständigung und ein konstruktives Miteinander zu verwirklichen und so gemeinsam unser Europa zu erneuern.
Dieses Ziel möchten wir unterstützen und veröffentlichen Auszüge mit freundlicher Genehmigung der Verfasser. Die vollständige Ausgabe finden Sie hier als PDF. Die Website des Instituts erreichen Sie hier.
