Demonstrationen nach Reform der KATA-Steuer
Auf einer Pressekonferenz vom 13. Juli kündigte die ungarische Regierung eine Reform der KATA-Steuer (Pauschalsteuer für Kleinunternehmen und -dienstleister) an, um Steuerhinterziehung und unrechtmäßigen Verschleierungen ein Ende zu setzen. So würden inzwischen drei Viertel der Nutzer entgegen der ursprünglichen Intention diese Steuerform als Scheinselbstständige zur Kaschierung missbrauchen. Viele große Unternehmen würden ihre Mitarbeiter anstelle einer regulären Festanstellung als derartige Scheinselbstständige beschäftigen. Das Unternehmen würde so Steuern „sparen“, der Beschäftigte dementsprechend mehr Geld bekommen.
Auch zahlen etwa 400.000 Menschen nicht in die Sozialkasse ein. Ähnlich wie bei der Krankenversicherung, bei der die Solidargemeinschaft lange für die finanziellen Vorteile Einzelner aufkam. Nichtsdestotrotz würde die rigorose und bereits ab September relativ kurzfristige Reform derweil für viele Ungarn, nämlich den umfassenden Großteil der bisherigen Nutzer (ca. 450.000), eine effektive Erhöhung der Steuerlast bedeuten. Aus diesem Grund kam es infolge der Ankündigung in Budapest zu mehreren Demonstrationen.
Haushalt 2023 abgesegnet
Das Parlament segnete am Dienstag den Staatshaushalt 2023 ab. Das Budget rechnet mit einem Wirtschaftswachstum von 4,1 %, einem Defizit von 3,5 % sowie einer mittleren Jahresinflation von 5,2 %. Die Haushaltsausgaben wurden auf 33,426 Billionen Forint (etwa 82 Mrd. Euro) veranschlagt, die erwarteten Einnahmen mit 31,074 Billionen Forint (76,4 Mrd. Euro) beziffert. Die Staatsschulden sollen bis Ende nächsten Jahres von 76,1 % (Prognose für Ende diesen Jahres) weiter auf 73,8 % des BIP sinken. Zur Aufrechterhaltung des Wirtschaftswachstums und dem Schutz der Familien sollen einige Passagen des Haushaltsgesetzes über die Wirtschaftsstabilität geändert werden. Neu ist unter anderem die Einrichtung zweier Fonds, die vor dem Hintergrund des UkraineKrieges bei der Bewältigung der Herausforderungen helfen sollen. Zum einen sind dies der Schutzfonds für Versorgungseinschnitte mit 670 Mrd. Forint, etwa 1,6 Mrd. Euro, zum anderen der Verteidigungsfonds mit 842 Mrd. Forint (2,1 Mrd. Euro). Kritiker bemängelten, dass der Entwurf nicht mehr der aktuellen Realität entspreche. Der Plan kalkuliere noch mit einer Inflation von 5,2 % (zuletzt bei mehr als 10 %) und einem Forintkurs zum Euro von 370:1 (derzeit über 400 Forint je Euro).
Ausrufung des Energienotstandes
Die Ausrufung des Energienotstandes durch die ungarische Regierung, der am 13. Juli 2022 von Kanzleramtsminister Gergely Gulyás bekanntgegeben wurde, beinhaltet einen SiebenPunkte-Plan, der im August in Kraft tritt und im Einzelnen Folgendes vorsieht. Ungarns heimische Gasproduktion soll von eineinhalb auf zwei Milliarden Kubikmeter erhöht werden, was nach Schätzungen der Regierung möglich sei. Derzeit sind die Gasspeicher zu 44 Prozent gefüllt, was die Gasversorgung des Landes lediglich für ein Vierteljahr gewährleisten würde. Auch soll die heimische Braunkohleförderung bis Ende des Jahres angekurbelt und das Kohlekraftwerk Mátra wieder in Betrieb genommen werden. Beschlossen wurde zudem ein Ausfuhrverbot für Energieträger und Brennholz. Aufmerksamkeit erhielt vor allem das Vorhaben, das Programm der staatlich unterstützten Nebenkostensenkung zu beschränken, welches der ungarischen Bevölkerung Energiepreise garantiert, die weit unter dem Markpreis liegen. Verbraucher, die über dem Durchschnitt liegen, werden in Zukunft aufgefordert ihren Verbrauch zu senken und Energie zu sparen. Andersfalls werde ab der Überschreitung des Durchschnittsverbrauchs nicht mehr der ermäßigte, sondern der Marktpreis fällig. Diese Neuregelung beträfe derzeit ca. ein Viertel der ungarischen Haushalte.
Außenminister Szijjártó in Moskau
Außenminister Péter Szijjártó reiste am 21. Juli nach Moskau zu Gesprächen mit mehreren Mitgliedern der russischen Regierung, darunter Außenminister Sergej Lawrow. Dabei ging es nach offiziellen Angaben um die Sicherstellung der ungarischen Gasversorgung sowie eine Friedenslösung im Ukraine-Krieg. Die ungarische Regierung wolle mehr russisches Gas kaufen, was die Russen derzeit prüfen würden. Szijjártó formulierte die ungarischen Sorgen angesichts der europäischen Gaskrise, hob jedoch auch hervor, dass die Füllung der ungarischen Gasspeicher mit 27,3 % weiter fortgeschritten sei als im europäischen Durchschnitt (17,3 %). 700 Millionen Kubikmeter Erdgas würden dem Land aber noch zur Gewährleistung seiner Energiesicherheit fehlen. Dies in Europa ohne die Quellen aus Russland zu bewerkstelligen sei eine „eitle Hoffnung“. Erneut forderte er in Moskau einen sofortigen Waffenstillstand und Friedensgespräche. Der Besuchstermin war im Vorhinein beim Präsidenten der UN-Generalversammlung angemeldet worden.
EU-Kommission leitet weitere Verfahren gegen Ungarn ein
Wie die ungarische Justizministerin Judit Varga auf ihrer Facebook-Seite Mitte Juli mitteilte, hat die Europäische Kommission zwei weitere Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet, sowie Ungarn in zwei Fällen vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Die erste Klage richtet sich gegen das ungarische „Kinderschutzgesetz“, das aus EU-Sicht gegen die Rechte der LGBTQ-Minderheit verstoße. Varga reagierte in ihrer Stellungnahme: „Wir haben von Anfang an klargestellt, dass der Schutz von Minderjährigen und die Gewährleistung ihrer moralischen Entwicklung Sache der Mitgliedstaaten ist, und Ungarn mit dem Beitritt zur EU seine Souveränität nicht aufgegeben, sondern nur die gemeinsame Ausübung bestimmter Kompetenzen ermöglicht hat.“ Dir Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley, begrüßte das Vorgehen der Kommission: „Die Klagen sind richtig, doch sie kommen zu spät für die Demokratie in Ungarn.“ So habe die Kommission „jahrelang verschlafen“, dass Viktor Orbán „die Demokratie abbaue“. Jetzt müsse sie Ungarn so schnell wie möglich seine Fördergelder kürzen.
Die zweite Klage richtet sich gegen den Lizenzentzug des Radiosenders Klubrádió für den UKW-Sendebetrieb, nach dem der Radiosender in den Internetbetrieb wechseln musste. Der EU-Kommission zufolge seien die Bedingungen für die Erneuerung der Sendelizenz „unverhältnismäßig und intransparent“ gewesen, die Gründe für die Ablehnung fragwürdig. Die Regierung entgegnete hingegen, dass die Entscheidung von einer regierungsunabhängigen Behörde getroffen und von einem unabhängigen ungarischen Gericht bestätigt worden sei. Das ungarische Lizenzierungssystem ermögliche allen Anbietern einen gleichberechtigten Zugang. Die Vertragsverletzungsverfahren mit zweimonatiger Frist beziehen sich einerseits auf der Ausfuhrstopp für Getreide sowie den Tankrabatt für Inländer in Angesicht des UkraineKriegs und der wirtschaftlichen Krisensituation. Die Kommission berief sich hierbei auf die Freiheit des Binnenmarktes sowie den Grundsatz der Nichtdiskriminierung, wonach „die Maßnahme […] mit den EU-Vorschriften über die gemeinsame Marktorganisation unvereinbar“ sei. Die Verfolgung bestimmter wirtschaftlicher Ziele auf nationaler Ebene sei nicht gerechtfertigt, eine Notwendigkeit einer Intervention im Namen der Versorgungssicherheit mit Getreide sei nicht gegeben. Varga entgegnete, dass die Tankmaßnahme ursprünglich für alle gleichermaßen gegolten hätte, in der „Inflations- und Kriegssituation“ der zunehmende „Tanktourismus die Versorgungssicherheit“ aber derartig bedroht hätte, dass ausländische Kennzeichen vom Geltungsbereich der Regeln ausgeschlossen hätten werden müssen. Auch zur Getreideausfuhr hätte die Regierung ihre vorläufigen Bemerkungen nach Brüssel übersendet.
Umfrage: 61 Prozent der Ungarn zufrieden mit der Arbeit ihrer Regierung
Laut einer Umfrage des regierungsfreundlichen Nézőpont-Instituts in zwölf mittel- und südosteuropäischen Ländern sind die Menschen in Ungarn am zufriedensten mit der Arbeit ihrer eigenen Regierung. 61 Prozent der Ungarn drückten so ihre Zustimmung aus, dicht gefolgt von Serbien mit 60 Prozent. Lediglich ein Drittel der Bevölkerungen beider Länder stuften sich als unzufrieden mit der Regierungsarbeit ein. Interessant ist insbesondere, dass sich in Ungarn, wo die Wahlen zur Ungarischen Nationalversammlung jüngst am 3. April 2022 stattfanden, aber auch in Serbien ein höheres Maß an Zufriedenheit feststellen lässt, als es dem prozentualen Wahlergebnis entspräche. Die Forscher führen dieses Ergebnis auf die hohe politische Stabilität des Landes zurück, ein Wert, der im Vergleich mit anderen Staaten keine Selbstverständlichkeit darstelle. So lagen in Bulgarien, Slowenien, Rumänien und der Slowakei die Unzufriedenheitswerte bei über 70 Prozent.
Bild zum Artikel: »Protest in Hungary« by: gregoriosz
Zur Quelle:
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